Vienna Texture (after Singer / Dicker)

Groupshow “Destination Vienna” at Kunsthalle Vienna, 2015

Gitter seien das Sinnbild der künstlerischen Moderne und dabei selbstbezüglich und realitätsfern, ahistorisch, entwicklungsunfähig und antinarrativ, schreibt Rosalind Krauss 1979,1 dem Geburtsjahr Jenni Tischers. Dass die Gitter und Rahmen, die Tischers Arbeit durchziehen, die renommierte Kunsttheoretikerin Lügen strafen, liegt nicht unbedingt an einer geschichtlichen Verschiebung. Einige der Narrationen und Bezüge, die Tischer zwischen ihren Rahmen verspannt und in ihre Fadenkreuze verwickelt, hätte auch Krauss durchaus sehen können – wäre sie nicht nur auf Kasimir Malevich, Piet Mondrian und Agnes Martin eingegangen, sondern ebenso auf Anni Albers, Gunta Stölzl oder Lenore Tawney. Das Gitter ist eben nicht bloß rechtwinklige und autonome Abstraktion. Es ist auch Grundprinzip des Textilen, des Knüpfens und Webens – und als Teppich, Gewand oder Fangnetz weder weltfremd noch geschichtslos.

Mit seiner formal-ästhetischen Attraktivität ist Tischers Werk eine stark dekorative Komponente zueigen, welche die Künstlerin ebenso wenig scheut wie die Nähe zu kunsthandwerklich-textiler Handarbeit. Beides ist in den Sphären autonomer Kunst traditionell verpönt; doch Tischer folgt der modernistischen Behauptung einer interesselos weltabgewandten Ästhetik nicht. Ihr spezifischer Formalismus verspannt eine von deterministischen Zwecken emanzipierte Autonomie dialektisch mit dem Quasi-Funktionalen von geschichtsbewusstem Realitätsbezug und Tauglichkeit zur Dekoration. Wenn sich Tischers Arbeiten also bestens in Wohnzimmer, Cafés oder andere Alltagsräume fügen (das Wandgeflecht Vienna Texture (Singer / Dicker) war Teil eines Raumkonzeptes, das sich auf Entwürfe des Wiener Architekturbüros Singer / Dicker aus den 30iger Jahren bezog) dann deshalb, weil sie auch eine – Walter Benjamin würde sagen „zerstreute“ – Rezeptionshaltung affirmieren, die sich nicht innerhalb des White Cube in leib- und lebensferner Kontemplation verschanzt.

Text: Ines Kleesattel: Ein Gitter (Form) ist ein Gewebe (Material) ist ein Emblem (Funktion), in: Pin, Berlin 2014 (Auszug)

Vienna Texture (after Singer / Dicker) 2015
wood, yarn, paint
240 x 450 cm
Detail
Vienna Texture (after Singer / Dicker) 2015
Making Grid XIII, 2015
glass, textile, metal pins, copper
ø 37 cm
Making Grid XII, 2015
glass, modelling clay, pin,
yarn, metall stand, ø 27 cm
Exhibition View, 2017
Destination Vienna, Kunsthalle
Installation View, 2017

Photos: Jorit Aust